Ein Spitzweg
für 900 Euro? Raffaels Madonna für 4.500 Euro? In Berlin produzieren drei
(falsche) Meister ganz legal perfekte Plagiate fürs Wohnzimmer.
Mit dabei in
der bunten Illusion: Pigmente von Bayer Chemicals.
Berlin, Neukölln - ein eher bescheidenes, multikulturelles Viertel abseits von Touristenströmen. In diesem Teil der Hauptstadt leben und arbeiten die wahrscheinlich besten Kopisten der Republik. Im Erdgeschoss de Wipperstraße 20 lächelt die Mona Lisa in die Tiefe des Raumes. Kein Leonardo, sondern ein echter Posin. "Sechs Jahre Arbeit", sagt Evgeni Posin, und sein Gesicht zeigt eine Mischung aus Stolz und einem Rest Leiden nach Jahren der Mühe. Dann nuschelt er was von der " Aura" in seinem Rauschebart: " Man die Seele eines Bildes finden, um es perfekt zu kopieren", sagt er. "Und die Seele des Malers!", fallen ihm seine beiden Brüder Michael und Semjon ins Wort.
Tage, Wochen, mitunter Jahres studieren die drei Russen den Stil der großen Meister samt jedem Pinselstrich und jeder Farbnuance, wälzen Tagebücher und Biografien. Und dann, eines Tages, ist so weit. Für ein paar Stunden, meistens in der N acht, erzählt Michail, versetzen sie sich in die Gemütsverfassung ihrer großen Vorbilder. Dann kopieren sie, nein, nicht die Oberflächen eines Bildes, sondern seine Stimmung. "Das erhebt uns über einen Scanner", witzelt Semjon. Ein van Gogh entsteht in sechs bis zwölf Stunden - wie im Rausch, so rasch, wie der Meister selbst zu Werke ging. Ein Raffael indes brauchte viele Nächte. "Wir müssen wandlungsfähig sein wie Schauspieler", urteilt Evgeni, der wie seine Brüder nur hochwertige Farben verwendet, di so nahe wie möglich ans Original kommen. Doch während sich die Alten Meister damals nur mit einer sehr begrenzten Palette guter Pigmente begnügen mussten, können die Posin-Brüder heute aus dem Vollen und dem Besten schöpfen: Allein die Traditionsfirma Schmincke verwendet über 220 Pigmente für ihre Künstlerfarben - und etliche davon stammen aus dem Hause Bayer.
In einer Mixtur aus Wissenschaft und Kommerz produziert das Trio verblüffend perfekte Plagiate. Die Drei zeigen Respekt vor den großen Namen, aber heilig ist Ihnen nichts. "Wir kopieren alles", sagt Michael mit der Selbstsicherheit des Profis. Wie seine Brüder wurde er an der Kunstakademie des ehemaligen Leningrad in allen Zeichen- und Maltechniken exzellent ausgebildet. Dor hat die Karriere der Drei mit einem "Kopier-Kurs" begonnen, bevor sie in den 80er-Jahren nach Berlin kamen. Nun schmücke etwa 100 farbenprächtige Imitate wie ein Flickenteppich die vertäfelten Wände ihres "Salons". Rembrandt, van Gogh, Monet, Raffael, Modigliani, Turner, Caravaggio, Dürer und viele mehr - ein halbes Jahrtausend Kunstgeschichte hängt hier, garantiert gefälscht.
Original sind allein die drei Kopisten und ihr streng legaler Anspruch: Weichen die Bildmaße um wenige Zentimeter vom Original ab und ist der nachgeahmte Künstler mindestens 70 Jahre tot, gestattet das Gesetz die Kunst aus zweiter hand. Und die findet zunehmend Abnehmer: Gerade hat ein Sammler elf Werke gekauft. Nun müssen die Brüder auffüllen: Die nächsten Nächte werden anstrengend. Manche Kunden wünschen sich Variationen klassischer Werke: Evgeni präsentiert die Mona-Lisa-Spielereien, die die Dame in drei Altersstufen zeigen, zuletzt als Greisin mit gehässigem Grinsen. Dann und wann "erfinden" die Russen ein Gemälde, das wie eines von Rembrandt wirkt, das er aber niemals gemalt hat - keine Kopie, sondern pure Fälschung. Meist jedoch wollen die Käufer das täuschend Echte zum moderaten Preis zwischen 500 und 10.000 Euro. Renner sind von Goghs "Nachtcafe" und Monets "Seerosen".
Nur ihre Mona Lisa wollen die Russen nicht hergeben. "So unbezahlbar wie das Original", flachst Evgeni. Allein ein Jahr hat sie es gekoste, um das Geheimnis des Lächelns zu enträtseln. "Die Schatten um ihren Mund bewegen sich", erklärt Semjon. "Sie zeigen eine Muskelfunktion an; entweder will sie gerade lächeln, oder sie hat gerade gelächelt." Da hängt sie nun, umgeben von einem Goldrahmen und geschützt durch einen grau gestrichenen Holzkasten mit Fenster. Alles wie im Louvre - bis auf das Panzerglas. "Plexiglas muss reichen", findet Semjon. So weit geht der Perfektionismus bei den drei Kopisten dann doch nicht.
Klaus Wilhelm