Berliner Morgenpost vom 04.04.2010

Mona Lisa in Neukölln

Sie streiten nie. Sagen Evgeni, Michael und Semjon. Vermutlich haben die drei Brüder gar keine Zeit dafür. Sie sind Fälscher und ja, bitteschön, man darf sie ruhig so nennen, sie empfinden das nicht als Beleidigung. Ist doch ein ehrenwerter Beruf, wenn man dazu steht.

Die Brüder Posin haben das Gemäldefälschen zur hohen Kunst erhoben. Niemand fälscht so schön, so perfekt wie sie. Sagen die Kunden. Beschwerden gab es noch nie. Im Gegenteil: Viele werden zu Stammkunden, Posin-süchtig sozusagen. "Manche Kunden kaufen bis zu 50 Gemälde", sagt Evgeni. Die haben große Häuser, die sie schmücken wollen. Große Häuser. Und große Geldschatullen. Obwohl die Bilder nicht wirklich teuer sind- bis zu 10 000 Euro für einen Rembrandt oder van Gogh, fast echt, das ist fair. Konkurrenz haben sie keine. Das klingt ein wenig arrogant, ist aber wirklich so. Arrogant sind sie nämlich nicht.

Ihr "Kunstsalon" in Neukölln ist wie ein eigener kleiner Kosmos inmitten einer mittelschönen Gegend. Zu den Nachbarn gehören ein Rotlicht-Kino, ein deutsch-arabischer Verein (videoüberwacht), Gemüsegeschäfte, ein Tele-Internet-Café und, nicht zu vergessen, "Elkes Nagelstübchen", ein Geschäft mit verstaubter Glasfront und einem kleinen, verwegenen Dessous-Angebot. Die Eleganz wohnt anderswo, den Künstlern ist das egal: "Wir fanden das Geschäftslokal schön und außerdem hat es einen großen Keller." Die Kundschaft kommt aus aller Welt, nur nicht aus Neukölln: "Aus der Nachbarschaft hat noch nie jemand ein Bild von uns gekauft. Die Leute aus dem Viertel kommen auch nicht zu unseren Ausstellungen." Neuköllner gehen hier einfach achtlos vorüber. Schade. Sie könnten die Tür öffnen, staunen und es kostet nichts. Außer man erliegt dem Zauber der Gemälde. Die Geschäfte laufen gut, die Namen der Kunden werden wie ein Geheimnis gehütet. Manchmal kommen Menschen herein, die den Brüdern Geschäfte vorschlagen, wie man relativ schnell relativ reich werden könnte. Mit illegalen Kopien, einer schlug einmal ein 10-Millionen-Euro-Geschäft vor. Er flog raus, wie all die anderen. Die Brüder Posin fälschen nämlich ausschließlich Bilder, deren Maler seit mehr als 70 Jahren tot sind, und nur für Privatkunden.

Oben im Verkaufsraum stehen die Fälschungen, unten im Keller jene Gemälde, die die Brüder zum Vergnügen malen. Selbstporträts sind darunter, Ikonenmalerei, ein Stalin-Porträt, eine Landschaft in Sibirien. Dort sind die Brüder aufgewachsen, unfreiwillig. Ihr Vater, ein Japanologe, wurde 1937 verhaftet, die Familie aus Leningrad verbannt. Die Brüder waren noch klein, die Unbarmherzigkeit Sibiriens sollten sie erst später erkennen. Woher ihre Liebe zur Kunst stammt? Aus Sibirien jedenfalls nicht. Nach der Schule wollten sie so schnell wie möglich zurück nach Leningrad, bekamen drei der begehrten Studienplätze. "Wir haben zehn Jahre studiert, zuerst an der Hochschule, dann an der Akademie", sagt Michael. Das unterscheidet sie von Allerweltsfälschern: Sie verstehen ihr Handwerk. "Wenn wir ein Gemälde fälschen, vertiefen wir uns zuerst in die Literatur, wir lesen viel über die Zeit, in der es entstand, über die politische Situation, dann versuchen wir, uns in den Maler von damals hineinzuversetzen." So denken und fühlen wie der Maler, so malen wie er, das ist das Ziel.

Unten im Keller haben sie auch eine Gefängniszelle nachgebaut, wie sie sie in Leningrad oft erlebt haben. Was heute Kunst ist, bedeutete früher Angst und Ungewissheit: "Wir wurden oft verhaftet, mal für eine, mal für zwei Nächte eingeschlossen, immer mit ungewisser Zukunft." Die Nächte verbrachten sie auf einer Pritsche: Ein Brett, 20 Zentimeter breit, zwei Meter lang. "Du kannst darauf weder liegen noch sitzen noch dich lange anlehnen. Wir wussten nie, wie lange wir in der Zelle bleiben würden", sagt Evgeni. Es ging immer gut, irgendwie. Ihre "Verbrechen": Ausstellungen in Privatwohnungen. Eines Tages reichte ein Beamter Evegni einen Zettel, auf dem Stand gekritzelt, dass er sich verpflichtete, bis zum 9. Dezember auszuwandern. Für immer. Die beiden anderen Brüder folgten ihm. Paris, London, Wien waren Stationen, bevor sie in Berlin landeten. Warum können sie auch nicht so genau sagen, vielleicht eine göttliche Fügung, die Posin-Brüder sind Katholiken, eines ihrer Werke haben sie Johannes Paul II. in einer Audienz überreicht.

Alle Gemälde entstehen als Einzelarbeiten, nur die Mona Lisa haben die drei Brüder zu dritt gemalt. Pinselstrich um Pinselstrich, mit vielen Diskussionen, Paris-Reisen, drei Jahre hat das Projekt gebraucht. Nun hängt sie in Neukölln, tapfer, denn eigentlich hat sie hier ja nichts verloren.

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