Cicero
- Magazin für politische Kultur - Ausgabe Februar
2010
http://www.cicero.de/97.php?ress_id=7&item=4712
Echt falsch
von Christoph
Stölzl
Kopie oder
Fälschung? Nachschöpfung oder geistiger Diebstahl? Für drei russische Maler aus
Berlin stellt sich diese Frage nicht. Ihre Gemälde huldigen den Meisterwerken
der Kunst
Der Weg zur „Mona
Lisa“ führt durch den Großstadtdschungel Berlins, dort, wo er am wildesten ist:
an der Ecke zur Neuköllner Karl-Marx-Straße, wo am schreiend bunten
„Preistempel“ giftgelbe Rabattschilder „Insolvenzware“ und Sonderposten
anpreisen. Dahinter liegen die besprayten Gründerzeithäuser der Wipperstraße.
Der „Holz &
Kohle“-Laden steht leer und wartet auf neue Mieter, ebenso wie die verlassenen „Wipper-Garagen“.
Die Neuköllner haben anderes nötiger als Autopflege. Das „Tele-Internet-Café mit
Spätkauf“ floriert und vielleicht auch „Elkes Nagelstübchen“.
Mein Ziel liegt in der Mitte zwischen dem Lokal des „Vereins für
Aserbeidschanisch-deutsche Solidarität“ und dem Tor zur „Mit-Hilfe: Betreutes
Einzelwohnen, Wohnungserhalt
und Wohnungserlangung“. Das Schild „Kunstsalon Posin“ müsste mal erneuert
werden. Spitzengardinen verdecken die Fenster. Hinter der Tür schimmert ein
verblasstes Lila. Im schummerigen Licht, umhüllt von Zigarettenqualm, fällt der
Blick zuerst auf die drei Brüder Posin. Lächelnd stehen sie da, die drei
Meister, wie einem Gruppenporträt der russischen Intelligenzia um 1900
entstiegen mit ihren wallenden grauen Haaren und Prophetenbärten. Blickt man in
ihre Schatzkammer, wird man von widerstreitenden Gefühlen überfallen. Da ist das
Schäbige eines „Boheme“-Quartiers, die ausrangierten Fin-de-Siècle-Möbel wirken
so pittoresk, als seien sie Bühnenbilder für eine Puccini-Oper. Aber die Wände
entlang, scheinbar achtlos gestapelt und übereinandergehängt: ein Meisterwerk
der Kunstgeschichte nach dem anderen.
Dominiert wird der Raum von den Straßenbildern Ernst Ludwig Kirchners. Vor einem
Jahr jährte sich sein Todestag zum 70. Mal, und die Posins hatten sich
ausgedacht, den Expressionisten zu ehren, indem sie seine berühmtesten Bilder
nachschufen: den „Potsdamer Platz“ von 1914 aus der Berliner Nationalgalerie,
aber auch die „Straßenszene“, die vor zwei Jahren aus dem Brücke-Museum an die
Erbin des jüdischen Besitzers vor 1933 zurückgegeben wurde – heute hängt sie in
Ronald Lauders New Museum an der New Yorker Upper East Side. Auch ein imaginäres
Selbstporträt Kirchners aus dem Jahr seines Suizids lehnt da unter einem
Bilderstapel.
„Man sieht nur, was man weiß“ ist eine triviale, aber bewährte
Kunsthistorikerformel. Im Kunstsalon Posin weiß man, dass diese Kirchner-Bilder
in den vergangenen 24 Monaten entstanden sind und deshalb schlechthin nicht
original sein können. Aber an diesem Vor-Urteil wird man in der Neuköllner
Realität irre. Alles ist da: die pastosen Farbfelder, die dramatischen
Pinselstriche, die zackigen schwarzen Konturen, das Durchscheinen der hastig
bemalten Leinwände, die ganze Spontaneität. Vielleicht das Einzige, was dem
Besucher das Vertrauen in sein unbestechliches Auge zurückgibt, ist die allzu
blanke Frische der Rahmen.
Ein bedeutender deutscher Kunsthändler, ein Kenner des Expressionismus aus
langjährigem Umgang mit den Originalen, meinte nach einem Blick in den Salon zu
mir: „Da kann einem ja angst und bange werden! Manche der Kopien sind so
dramatisch gut, dass man nur hoffen kann, dass damit kein Schindluder getrieben
wird!“ Dergleichen aber ist nicht zu befürchten. Die Posins üben ihr Handwerk im
vollen Licht aus und sind Künstler, die sich das „Fälscher“-Etikett ganz bewusst
angeheftet haben, mit einer Mischung aus Stolz und Ironie. Was in ihnen noch
einmal aufscheint, ist ein Kunstbegriff, der im Historismus des 19. Jahrhunderts
seine letzten Triumphe feierte, um dann mit der Moderne unterzugehen: der
Künstler als Virtuose, als Universalmeister, der im Prinzip alles kann, jeden
Stil, jede Anverwandlung einer Vorlage. In ihrem „Leistungsangebot“ offerieren
die Brüder „Alte Meister, Impressionisten, Expressionisten und weitere
Kunstrichtungen entsprechend Kundenwunsch, Ikonenmalerei, Wand- und
Deckenmalerei, Bilderrahmen, Bemalung und Restaurierung von Möbeln aller
Stilrichtungen, Porträts als Büste und Skulptur in Gips, Keramik und anderen
Materialien, aber auch Interieurgestaltung“. Lebte der Bayernkönig Ludwig II.
heute, die Gebrüder Posin wären seine idealen Partner bei der Realisierung
seiner Schlösserträume.
Wie wird man Meisterfälscher? Die Posins (Semjon, geb. 1944, Jevgeni, geb. 1947
und Michail, geb. 1948) stammen aus einer Leningrader Intellektuellenfamilie.
Der Vater, ein Japanologe, geriet 1937 in die Mühle des Stalin’schen Terrors und
entging nur knapp der Erschießung. Später wurde er nach Sibirien verbannt und
schlug sich als Englischlehrer durch. Die Brüder wuchsen in Sibirien auf, die
westeuropäische Kultur war fern. Aber irgendwie fanden Kunstpostkarten den Weg
ins Leben der verbannten Kinder. Schon mit sieben Jahren wussten sie, wie ein
Bild von Toulouse-Lautrec aussieht, ein Poussin, ein Cézanne. Mit Bleistift und
Wasserfarben versuchten sie um die Wette, einen Gainsborough nachzumalen. Alle
drei erkämpften sich die Rückkehr nach Leningrad, was wegen der Biografie des
Vaters äußerst schwierig war. Aber die unbezweifelbare Begabung der Brüder für
die akademische Malerei öffnete dann doch die Tür. Zwischen 1958 und 1979
absolvierten sie zeitversetzt die vorgeschriebenen Fachschulen, dann die
Kunstakademie und danach noch das Repin-Institut, benannt nach dem prominenten
russischen Maler des 19. Jahrhunderts. An der Leningrader Akademie wurde streng
nach klassisch-akademischer Manier ausgebildet. Die Tradition des perfekten
malerischen Handwerks ging zurück auf die Petersburger Akademie, an die die
Zaren regelmäßig Professoren aus Westeuropa geholt hatten.
Als der
Sowjetstaat in den zwanziger Jahren die Grenzen schloss, blieb die traditionelle
Ausbildung im „Reservat“ der offiziellen sowjetischen Kunst am Leben. Stalin
verlangte von seinen Künstlern Verständlichkeit und Volkstümlichkeit, darum
wurden Porträt- und Landschaftsmalerei nach den alten akademischen Regeln
gelehrt, um am Ende „Meister“ hervorzubringen – vergleichbar der unwandelbaren
hohen Schule des russischen Balletts, in dem die höfische Tanzkultur Frankreichs
weiterlebte. Im dritten
Studienjahr wurden die Studenten dann in die Eremitage und ins Russische Museum
geschickt, um die russischen Meister des 18. und 19. Jahrhunderts
nachzuschaffen. Die Ergebnisse wurden sehr streng benotet.
Mag sein, dass die systemkritische Tradition der Familie dazu beitrug, dass die
Posin-Brüder nach der Akademie in die Dissidentenszene der inoffiziellen Kunst
gerieten. Optimistischen „Sozialistischen Realismus“ mochten sie nicht malen.
Nachdem sie in Konflikt mit dem Sowjetstaat gerieten, kamen sie dann ab 1984
einer nach dem anderen in die Bundesrepublik. Als sie in Berlin Fuß zu fassen
versuchten, gab es noch keine Kopieridee. Erst die Härte
des westlichen Kunstmarktes, auf dem wenig Platz war für den religiösen
Symbolismus, dem sich die Posins verschrieben hatten, zwang sie, ihr
akademisches Training fruchtbar zu machen. Im Jahr 2001 gründeten sie den
„Kunstsalon Posin“ in Neukölln.
Wie nun sieht der Prozess des Kopierens aus? Das akribische Studium der
zeitgenössischen Malmittel versteht sich von selbst, sagen die Brüder. Aber
wichtiger als das sei die Versenkung in die historische und biografische
Situation, in der ein Bild entstanden ist. Die Posins sind große Leser.
Besonders angetan haben es ihnen die Künstler, die reiches autobiografisches
Material oder umfangreiche Briefwechsel hinterlassen haben, wie etwa Vincent van
Gogh. Bei ihm wechselten Pinselführung und Farbauftrag sehr genau entlang seinen
Stimmungslagen, wie sie die Briefe spiegeln.
Was die Posins wollen, ist vergleichbar mit der Neuschöpfung einer musikalischen
Partitur in einem Konzert, ähnlich auch der Nacherschaffung einer Rolle durch
den Schauspieler. Nicht Quadratzentimeter für Quadratzentimeter soll das Bild
entstehen, sondern als Wurf, als Gesamteindruck, als Neuschöpfung. Es geht um
Ausstrahlung, es geht – sehr russisch! – um die „Seele des Künstlers“: „Man muss
denken wie der Maler“, sagen die Posins. Dazu gehört auch ganz praktisch, im
historisch verbürgten Tempo zu malen. Renaissance-Bilder beispielsweise müssen
viele Tage auf der Staffelei bleiben, ein impressionistisches Bild mit seinen
spontanen Pinselhieben muss in Stunden fertig sein. Im Idealfall entsteht, durch
extreme Einfühlung in die Persönlichkeit, so etwas wie eine Zweitfassung von
Künstlerhand. „Ein Bild zum zweiten Mal malen, ist ein Akt der Liebe“, sagt
Semjon Posin. „Er gelingt, wenn man dem Künstler so nahekommt, dass alle Furcht
erlischt.“
Der Rundgang im Neuköllner Salon mit seinen El Grecos, Kirchners, Van Goghs und
Klimts ist aufregend genug. Vollends bizarr aber wird es, wenn man einen Ausflug
nach Brandenburg ins „Fälschermuseum“ von Großräschen macht. Über 100 Bilder der
Posins hängen dort, eine Grand Tour durch die europäische Kunstgeschichte.
Auftraggeber war der Unternehmer Gerold Schellstede, der nach der deutschen
Einigung aus Oldenburg nach Brandenburg kam, zuerst mit einem Möbelhaus Erfolg
hatte und sich dann als Hotelier mit der IBA Fürst-Pückler-Land zusammentat, die
Industriewüsten renaturiert. In Großräschen, nahe der Autobahn Berlin-Dresden,
hatte die „Ilse-Grube“ 35 Jahre lang 330 Millionen Tonnen Braunkohle abgeräumt
und ein gigantisches, 70 Meter tiefes Loch hinterlassen. Seit März 2007 wird es
geflutet. 153 Millionen Kubikmeter Wasser sind nötig, damit hier eine
„traumhafte Seenlandschaft“ (IBA-Prospekt) entsteht.
Das „Lausitzer Seenland“ ist ein gigantisches Projekt. Aus Spree, Neiße und
Schwarzer Elster wird Wasser in die vom Braunkohlebergbau ruinierte Landschaft
gepumpt. 30 Seen werden entstehen. Das ehemalige Ledigenwohnheim der
Braunkohlenfirma, ein Bau von schlossartigen Dimensionen, wurde von Schellstede
zum Vier-Sterne-Hotel umgerüstet und steht an der Kante zum Loch. Im Jahr 2015
wird es seinen Titel „Seehotel“ zu Recht tragen. Bis dahin müssen die Bilder der
Posins die Hauptattraktion bilden. Rembrandts monumentale „Nachtwache“ bildet
den Mittelpunkt. Flankiert von Dürers Aposteln und Goyas „Nackter Maja“ ist der
Platz davor zum beliebtesten Trauungsort der Gegend avanciert.
In Großräschen, wo auf Sichtweite des künstlichen
Rembrandts eine künstliche
Seenlandschaft entsteht, kann man ins Grübeln kommen über die Kriterien von echt
und falsch. Die europäische Kunstgeschichte und unsere Denkmalpflege beharren
auf der materiellen Substanz als Kriterium der Authentizität. Die asiatische
Kunstphilosophie sieht das anders: Hier gilt die perfekte 1:1-Neuschöpfung nach
altem Vorbild oft als gleichwertig.
Die Posins halten sich aus solchen Theoriekonflikten heraus. Sie freuen sich
lieber an Besuchern wie mir, der im Neuköllner Hinterzimmer etwas tun darf, was
ihm als früherem Museumsdirektor nie vergönnt war: „Haben Sie keine Angst!“,
sagt Jevgeni Posin. Und dann darf ich der Mona Lisa über die Wange streicheln.
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