FOCUS vom 24.03.03
Ob Dürer, Renoir oder van Gogh - wie drei russische Kopierkünstler die großen Meister reproduzieren
Heldenhaft arisch, blond gelocht und blauen Augen blicht der Jüngling in eine scheinbar lichte Zukunft. Typische Kunst des Dritten Reiches, Germanenkult, klare Sache. Stimmt aber nicht - der Blonde zwar im Original 1939 gemalt, aber nicht in Hitlers, sondern in Stalins Reich. Staatskünstler Boris Grigorjew hatte damals ein Porträt seines Sohnes im idealistischen Stil der Sowjetdikdatur angefertigt. Die "Neuauflage" des Heroenbildes ist ein Produkt der russischen Brüder Posin.
Jewgenij, Semjon und Michael Posin sind Meister in der Kunst der Verblüffung. In ihrer Berliner Galerie haben sie Werke aus fünf Jahrhunderten gespeichert, die einen Milliardenwert verkörpern - wenn sie denn echt wären. Kunstschätze von Raffael bis Renoir, von Dürer bis Modigliani birgt das Depot der Brüder, die Ende der 80er Jahre aus Leningrad nach Deutschland kamen, um hier ein seltsames Talent nach Herzenslust zu verwirklichen. Ihre Gemäldekopien sind bei Sammlern begehrt, weil nahezu unerreicht in Perfektion und Stilsicherheit.
Jewgenij Posin, 55, ist Spiritus Rector des Trios und erzählt von seiner deutschen Mutter, einer Ausbildung an der Kunstakademie Leningrad, "die sorgfältigste auf der ganzen Welt", und von Unterdrückung künstlerischer Freiheit durch die Sowjetbehörden In Berlin begannen sie die Ästhetik der Fälschung zu entdecken, malen und modellieren sich seither durch ein halbes Jahrtausend europäischer Kunstgeschichte.
Kriminell ist dieses Treiben keineswegs, denn die Brüder halten sich exakt an das Kriterium, wonach eine Kunstfälschung nicht vorliegt, wenn die Kopie um wenige Zentimeter vom Original abweicht und der nachgeahmte Künstler mindestens 70 Jahre tot ist. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Kunden dürfen sich als Renaissancefürst konterfeien oder in der Manier Antonio Canovas als klassische Statue verewigen lassen.
"Impressionisten kann man nicht fälschen, man muss sie einfach malen", bemerkt Jewgenij philosophisch. Und Michael, 56, der sonst so Stille, sekundiert; "Wir müssen uns wie Schauspieler ständig wandeln", setzt sich an die Staffelei und gibt eine atemberaubende Van-Gogh-Vorstellung, auch ohne sich das Ohr abzuschneiden. Der brüderliche Anspruch, jedwede Epoche nachempfinden zu können, wirkt nicht mehr blasphemisch.
Semjon, 58, präsentiert derweil eine Rembrandt-Klassiker: alter durchgeistigter Mann vor goldbraunem Hintergrund. Wer ist das wer soll das sein? Der Meister saugt schmunzelnd an seiner Zigarettenspitze und löst, das Rätsel. Bruder Jewgeni hat diesen knebelbärtigen Patrizier vor Jahresfrist frei erfunden. "So und nicht anders hätte der späte Rembrandt einen vermögenden Auftraggeber porträtiert".
Als Lohn aller Mühe fordern die Posins höchst moderate Preise. Ein allerliebster Spitzweg kostet 900 Euro, und die Madonna a´ la Raffael (Bildhauer Semjon hat sich den stilgerechten Prunkrahmen dazu geschnitzt) gerät mit 4.500 Euro auch nicht zu üppig. Das eigentliche Prunkstück ist freilich unverkäuflich. Sechs Jahre haben die Brüder Leonardos "Mona Lisa" studiert, besuchten mehrfach den Pariser Louvre, mixten Farben, suchten antikes Holz. Jetzt thront die Gioconda nachgerade schöner als das Original im Atelier. "Aber wenn ein Kunstfreund wirklich innere Beziehung zu dem Bild hat, dann lassen wir mit uns über den Verkauf reden", räumt Jewgini pfeifeschmauchend ein.
Neuester Coup des rastlosen Triumvirats ist eine Ausstellung von gefälschter Kunst der Stalin-Ära: Bonzen, Babuschkas und Bolschewiken in traut-bunter Eintracht. Schöne neue Welt nebst Sowjetmarschall Schukow. Damit das Ganze nicht als Hommage an den georgischen Massenmörder missverstanden werden kann, haben die Posins einen Kontrapunkt gesetzt. Im Keller präsentieren sie kopierte Zeichnungen von Gulag-Häftlingen.
Jan von Flocken