FORUM-Magazin vom 17.11.2017

Kopieren auf höchstem Niveau

Ihr Atelier in Berlin-Neukölln gleicht auf den ersten Blick einer hochkarätig bestückten Gemäldegalerie. Erst bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die Bilder als Kopien berühmter Werke. Ein Besuch im Kunstsalon der Brüder Posin.

 
Der Eingang zum „Kunstsalon Posin“ ist ohnehin unscheinbar, aber das Baugerüst lässt ihn fast ganz verschwinden. Offiziell hat das Ateliergeschäft noch nicht geöffnet, doch es fällt schon Licht durch die mit bunter Folie beklebten Scheiben. Drinnen versinkt eine junge Frau in der pompösen ledernen Sitzgarnitur, deren beste Zeiten längst vorbei sind. Sie hat ein Foto und möchte davon ein Bild haben. Geht das? Ja, sicher. Und während Kundin und Künstler miteinander verhandeln, schaue ich mich in Ruhe um.

Und staune. Denn an den Wänden hängend, auf dem Boden stehend, entdecke ich zahllose Gemälde, Kunst von alten Meistern ebenso wie moderne Malereien, von van Goghs „Sonnenblumen“ über Tischbeins „Goethe in der Campagna“ bis hin zu einem Frauenporträt, das nach einem Werk von Cranach aussieht. Zwischen den Gemälden und Zeichnungen finden sich kleine Plastiken, alte Zeitschriften, verstaubte Weinflaschen und Aschenbecher – der Kosmos der Brüder Posin.

"Wo Karl Marx um die Ecke schielt"

Die Drei sind echte Originale, irgendwie aus der Zeit gefallen, insbesondere Evgeni mit Schlaghose, Lederweste und graumelierter Lockenpracht. Während Michail und Semjon noch mit der Kundin sprechen, lädt Evgeni mich auf eine kleine Tour durch den „Präsentationsraum“ ein, wie er sagt. Dazu geht es auf einer steilen Stiege hinunter in den Keller, wo sich reichlich Utensilien stapeln – von Bilderrahmenleisten über Folienrollen bis hin zu Verpackungsmaterial – die Posins schicken ihre Werke in die ganze Welt. Von rechts starren mich zwei Tierschädel an, von links kommt vierfach das Lächeln der Mona Lisa. Im Louvre strahlt sie zeitlos schön, hier altert sie – ein bisschen wie das Bildnis des Dorian Gray. Im nächsten Raum findet sich Stalin ganz traulich neben Heinrich VIII., und Karl Marx starrt aus weit aufgerissenen Augen auf einen Adolf in Kreuzritterrüstung. Kaum zu glauben, aber das Bild ist nach einem Original gemalt, auf seiner Wange ist ein Loch in der Leinwand. Genau an der gleichen Stelle habe das Original auch ein Einschussloch, sagt Evgeni Posin. „Hat wahrscheinlich jemand reingeschossen.“ Ob es wirklich so war, ist nicht historisch belegt, Evgeni könnte es sich aber gut vorstellen.

"Fast alles ist kopierbar"

"Wenn Evgeni ein Werk kopiert, hat er dessen Entstehungsgeschichte im Hinterkopf. Wer hat das Gemälde in Auftrag gegeben, was wollte der Künstler damit zum Ausdruck bringen? Wie lange hat er daran gemalt? Auch daran orientiert sich Evgeni, denn beim Kopieren versuche er ebenso lange an dem Bild zu arbeiten, wie dessen Schöpfer es getan hat. Einen van Gogh zu kopieren, das gehe schnell, denn der habe auch zügig gearbeitet. Für Renaissancebilder beispielsweise brauche er hingegen länger, sagt Evgeni, die seien ja wesentlich detailreicher. Können die drei Brüder eigentlich alles kopieren? Ein Grinsen breitet sich über Evgenis Gesicht. Fast alles, ja. Ein Jackson Pollock sei aber nicht kopierbar. Denn wie solle man denn die aufgespritzten Farbtropfen wiedergeben? Möglich wäre höchstens eine Version zu malen, die sich optisch vom Original nicht allzu sehr unterscheiden würde. Außerdem bestehe für alle nach 1947 gestorbenen Künstler noch Urheberschutz. Im Kunstsalon würden Meisterwerke kopiert, stellt Evgeni klar, und natürlich würden die hier entstandenen Bilder auch als Kopien gekennzeichnet. Mit Angaben zum Künstler, dazu der kleine Zusatz: Kunstsalon Posin, gemalt von … und das Entstehungsdatum. In der Presse werden die Brüder allerdings oft als „die genialsten Fälscher der Welt“ bezeichnet. Was den Dreien nicht ganz behagt. Sie malen zwar auch Bilder im Stil alter und moderner Meister – orientieren sich beispielsweise an Kirchner, Van Gogh oder Rembrandt. Aber ausgestellt und verkauft werden diese Gemälde dann als „Posins“. Manche werden auch verschenkt, wie das Bilderkreuz von Michail Posin, gemalt 1996 bis 1998. Damit sind sie 2004 zum Papst nach Rom gefahren und haben es in einer Privataudienz segnen lassen. Anschließend übergaben sie es einem Kloster in Jaroslaw in Polen. Gerade hatten sie ein Gastspiel in der Prince House Gallery in Mannheim, die Arbeiten von ihnen ausstellte – von Rembrandt bis Klimt, aber auch den einen oder anderen Posin. Semjon, Evgeni und Michail stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. Sie haben schon von klein auf gemalt, „aber nicht solche Kinderzeichnungen, nein, wir haben versucht zu malen, was wir gesehen haben.“ Später dann beim Kunststudium gehörte das Kopieren und Studieren der alten Meister zur Ausbildung. Eigene Bilder ausstellen? Nein, das ging damals nicht. Als sie es trotzdem gemacht haben, wurden sie „aus der Sowjetunion rausgeworfen“, wie Evgeni erzählt. Fast 800 Bilder mussten sie damals zurücklassen. 1985 kam Evgeni nach Deutschland, seine Brüder folgten ihm 1987 zuerst nach Frankfurt am Main, dann nach München und schließlich nach Berlin. Über Stationen in Grunewald und Kreuzberg kamen sie schließlich nach Neukölln. Zuerst verkauften sie eigene Bilder, „wir mussten ja von etwas leben.“ Sie fanden Kontakt zu einer Firma, die Kopien vertrieb und für die sie dann arbeiteten. 2001 machten sie sich selbstständig, fanden die Räume in der Wipperstraße. Mit dem Interesse an ihren Kopien stiegen bald auch die Preise. Einiges bleibt auch auf der Strecke: Früher gaben sie Malkurse, das geht nun nicht mehr, keine Zeit. Urlaub? Eine Woche muss reichen. „Ich gehe dann oft ins Museum“, sagt Evgeni, „den Louvre in Paris habe ich schon viele Male besucht.“

"Bei van Gogh kann man gleich loslegen"

Wir steigen wieder nach oben. Die Kundin ist inzwischen gegangen. Ist es schwieriger, nach einem Foto zu malen? „Nein, aber es ist ein unbekannter Künstler, vielleicht zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts oder etwas später, da müssen wir jetzt versuchen, alles über ihn herauszubekommen. Bei den bekannten Künstlern brauchen wir das nicht, bei van Gogh können wir gleich loslegen.“ Oder bei Gauguin. Ein Bild von ihm, „Contes Barbares“ von 1902, das jetzt im Museum Folkwang hängt, ist gerade fertig geworden, ein Auftrag aus Belgien. Es muss heute noch verpackt werden. Der große Holzkasten wird mit Styroporplatten ausgekleidet. Dann legen die Posins das Bild vorsichtig hinein. Darauf folgen mehrere Lagen Folie. Die drei arbeiten ruhig und konzentriert. Sie sind ein eingespieltes Team, mittlerweile mediale Aufmerksamkeit gewöhnt. Denn in der internationalen Kunstszene gelten sie nicht nur als geniale Kopierer sondern auch als originelle Künstler, Gesamtkunstwerke gewissermaßen. Eine Berühmtheit, die ihnen mitunter auch ungewöhnliche Aufträge bringt.„Ein Mann kam zu uns mit zwei Bildern eines seiner Vorfahren“, erinnert sich Evgeni, „wir sollten daraus ein Bild machen, den Kopf auf einen neuen Hintergrund bringen.“ Das sei durchaus interessant gewesen – so wie eigentlich alle Arbeiten. Evgeni gibt sich da bei allem künstlerischen Engagement auch pragmatisch. „Ich male, was die Leute wollen. Mir selbst gefällt alles.“ .

 

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