Michail Posin war »Prima Fila«: Ein päpstlich
gesegnetes Bildkreuz des religiösen Russen ist in Berlin-Neukölln ausgestellt
Neulich bekam ich einen Brief. Ich war zu einer
Ausstellungseröffnung geladen: »Der Kunstsalon Posin zeigt das von Papst
Johannes Paulus II. während der Generalaudienz im Vatikan am 10. März 2004
gesegnete Bildkreuz von Michail Posin«. Da ich den in Berlin lebenden
russischen Künstler kannte, rief ich ihn sogleich an. Wir verabredeten uns in
seinem Atelier.
Unterwegs dachte ich über meine historisch bedingten Bildungslücken in Sachen
Religion nach. Bis Mitte 80er gab es in der Sowjetunion offiziell keinen Gott,
kein Weihnachten und kein Ostern. Der Kirchgang wurde als Zeichen des
politischen Ungehorsams gewertet und brachte erhebliche Schwierigkeiten mit
sich, etwa die »Exkommunikation« aus Komsomolzen- oder Parteiorganisationen,
was wiederum Probleme am Arbeits- oder Studienplatz bescherte.
Im Zuge der Perestroika änderte sich das. Immer mehr Neugierige lockte das »Opium
fürs Volk« in die Tempel. Als meine damals hippieorientierte Clique sich im
Moskauer Stadtzentrum auf einer Oster-Nachtlithurgie traf, schritt ich mit einem
Freund von der Metrostation zur Kirche durch einen Hunderte Meter langen
Korridor von freiwilligen Ordnungshütern und Milizionären, die uns grimmig und
voller Verachtung ansahen, was uns das Gefühl gab, auserwählt und tapfer zu
sein.
Es folgten Jahre des ideologischen Chaos, in denen jeder seinen Notgott hatte
– egal, wie er hieß. Bald aber war alles wieder einigermaßen klar: Ein
Bekenntnis zu Lenin und Kommunismus galt als gesellschaftliches »Pfui«, der
Kollektivgeist wich dem Individualismus, und die Kirche gewann an Einfluß.
Mittlerweile hatte ich den Ausstellungsraum in Berlin-Neukölln erreicht und sah
das aus 17 Ölbildern zusammengesetzte Kreuz. »Wie du siehst, konnten wir es
hier nicht aufrichten – das ist ja siebeneinhalb Meter hoch«, meinte Michail
zu Begrüßung. »Ich möchte ihn unbedingt einer Kirche stiften.« Mehr als die
Kurzgeschichten zur Passion Christi interessierte mich diese Audienz bei dem
katholischen Oberhaupt. »Wie ist es dazu gekommen?« fragte ich. »Wie war es
dort?«
Der Manager des Kunstsalons, ein Herr Winzer, hatte direkt im Vatikan angerufen
und die angeforderten Unterlagen hingeschickt. Innerhalb eines Monats wurde
alles entschieden. Die »Prefettura della Casa Pontificia« lud zu einer der
Generalaudienzen, die jeden Mittwoch für mehrere hundert geladene Gäste in
einer riesigen Halle am Petrusplatz abgehalten werden.
Michail hatte eine der ersten 20 Nummern und war damit »Prima Fila«, saß in
der ersten Reihe und durfte für eine knappe Minute zum Papst auf die Bühne.
Seine Brüder Semjon und Ewgeni, ebenfalls Künstler, sowie Herr Winzer hatten
dreistellige Nummern auf ihren Einladungen und waren »Reparto Speziale«, also
Begleitpersonen. Sie saßen einige Reihen weiter hinten und durften zusehen, wie
Michail ein Originalfragment und ein Modell des Kreuzes im Maßstab von 1:10 auf
die Bühne trug, dem Papst vorgestellt wurde und dessen persönlichen Segen
empfing.
Die Bezeichnungen der übrigen geladenen Gäste kannten die Posins nicht, aber
sie wären in der Mehrzahl gewesen. Im übrigen, meinte Michail, sei im Vatikan
alles sehr straff organisiert: Unter den Augen zahlreicher Sicherheitskräfte
betritt das Publikum die Halle je nach Einladung durch drei Türen. Die
Audienzen dauern etwa zwei Stunden und werden vom Centro Televisio Vaticano
aufgezeichnet. Wenige Stunden später können bereits Videokassetten erworben
werden.
Vom Papst waren die Posins beeindruckt. Sie schenkten ihm Modell und Fragment
des Gemäldes. Zwei Wochen später erhielt Winzer daraufhin einen Brief aus dem
Vatikaner Staatssekretariat, unterschrieben von Assessore Msgr. Gabriel Caccia.
»Seine Heiligkeit hat mich beauftragt, Ihnen und den Künstlern nochmals
aufrichtig für dieses Zeichen der Verbundenheit mit seinem universalen
Hirtendienst zu danken.«
Ekaterina Beliaeva