Junge Welt vom 22.04.04

Hirtendienste

Michail Posin war »Prima Fila«: Ein päpstlich gesegnetes Bildkreuz des religiösen Russen ist in Berlin-Neukölln ausgestellt

Neulich bekam ich einen Brief. Ich war zu einer Ausstellungseröffnung geladen: »Der Kunstsalon Posin zeigt das von Papst Johannes Paulus II. während der Generalaudienz im Vatikan am 10. März 2004 gesegnete Bildkreuz von Michail Posin«. Da ich den in Berlin lebenden russischen Künstler kannte, rief ich ihn sogleich an. Wir verabredeten uns in seinem Atelier.

Unterwegs dachte ich über meine historisch bedingten Bildungslücken in Sachen Religion nach. Bis Mitte 80er gab es in der Sowjetunion offiziell keinen Gott, kein Weihnachten und kein Ostern. Der Kirchgang wurde als Zeichen des politischen Ungehorsams gewertet und brachte erhebliche Schwierigkeiten mit sich, etwa die »Exkommunikation« aus Komsomolzen- oder Parteiorganisationen, was wiederum Probleme am Arbeits- oder Studienplatz bescherte.

Im Zuge der Perestroika änderte sich das. Immer mehr Neugierige lockte das »Opium fürs Volk« in die Tempel. Als meine damals hippieorientierte Clique sich im Moskauer Stadtzentrum auf einer Oster-Nachtlithurgie traf, schritt ich mit einem Freund von der Metrostation zur Kirche durch einen Hunderte Meter langen Korridor von freiwilligen Ordnungshütern und Milizionären, die uns grimmig und voller Verachtung ansahen, was uns das Gefühl gab, auserwählt und tapfer zu sein.

Es folgten Jahre des ideologischen Chaos, in denen jeder seinen Notgott hatte – egal, wie er hieß. Bald aber war alles wieder einigermaßen klar: Ein Bekenntnis zu Lenin und Kommunismus galt als gesellschaftliches »Pfui«, der Kollektivgeist wich dem Individualismus, und die Kirche gewann an Einfluß.

Mittlerweile hatte ich den Ausstellungsraum in Berlin-Neukölln erreicht und sah das aus 17 Ölbildern zusammengesetzte Kreuz. »Wie du siehst, konnten wir es hier nicht aufrichten – das ist ja siebeneinhalb Meter hoch«, meinte Michail zu Begrüßung. »Ich möchte ihn unbedingt einer Kirche stiften.« Mehr als die Kurzgeschichten zur Passion Christi interessierte mich diese Audienz bei dem katholischen Oberhaupt. »Wie ist es dazu gekommen?« fragte ich. »Wie war es dort?«

Der Manager des Kunstsalons, ein Herr Winzer, hatte direkt im Vatikan angerufen und die angeforderten Unterlagen hingeschickt. Innerhalb eines Monats wurde alles entschieden. Die »Prefettura della Casa Pontificia« lud zu einer der Generalaudienzen, die jeden Mittwoch für mehrere hundert geladene Gäste in einer riesigen Halle am Petrusplatz abgehalten werden.

Michail hatte eine der ersten 20 Nummern und war damit »Prima Fila«, saß in der ersten Reihe und durfte für eine knappe Minute zum Papst auf die Bühne. Seine Brüder Semjon und Ewgeni, ebenfalls Künstler, sowie Herr Winzer hatten dreistellige Nummern auf ihren Einladungen und waren »Reparto Speziale«, also Begleitpersonen. Sie saßen einige Reihen weiter hinten und durften zusehen, wie Michail ein Originalfragment und ein Modell des Kreuzes im Maßstab von 1:10 auf die Bühne trug, dem Papst vorgestellt wurde und dessen persönlichen Segen empfing.

Die Bezeichnungen der übrigen geladenen Gäste kannten die Posins nicht, aber sie wären in der Mehrzahl gewesen. Im übrigen, meinte Michail, sei im Vatikan alles sehr straff organisiert: Unter den Augen zahlreicher Sicherheitskräfte betritt das Publikum die Halle je nach Einladung durch drei Türen. Die Audienzen dauern etwa zwei Stunden und werden vom Centro Televisio Vaticano aufgezeichnet. Wenige Stunden später können bereits Videokassetten erworben werden.

Vom Papst waren die Posins beeindruckt. Sie schenkten ihm Modell und Fragment des Gemäldes. Zwei Wochen später erhielt Winzer daraufhin einen Brief aus dem Vatikaner Staatssekretariat, unterschrieben von Assessore Msgr. Gabriel Caccia. »Seine Heiligkeit hat mich beauftragt, Ihnen und den Künstlern nochmals aufrichtig für dieses Zeichen der Verbundenheit mit seinem universalen Hirtendienst zu danken.«


Ekaterina Beliaeva

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